Montag, 08. August 2022, Rhein-Zeitung Koblenz & Region, Seite 29
Bayreuths neuer „Ring“ ist ein Totalschaden
Aus dem Urlaub eingeflogen: Tenor Clay Hilley übernahm binnen Tagesfrist den „Götterdämmerung“-Siegfried. Foto: S. Vinnik/Festspiele/dpa
Nach 15 Stunden läuft die Neuproduktion von Richard Wagners Tetralogie auf dem Grünen Hügel in einem nichtssagenden Tableau aus Bayreuth. Eine letzte Abzweigung hätte es gegeben – ein kleines Glück zu dritt, Vater, Mutter, Kind in der Zweiraumwohnung aus der „Walküre“. Doch Siegfried zieht es hinaus, das Kind klammert, Mama wirkt überfordert. Dabei ruht auf dem Nachwuchs alle Hoffnung – das hat Valentin Schwarz schon zu Anfang im „Rheingold“, kundgetan. Sein „Ring des Nibelungen“, nach der Premiere der „Götterdämmerung“ gnadenlos ausgebuht, ist eine traurige Sache. Weil der Regisseur bei den Bayreuther Festspielen zeigen will, wie eine Schicki-Familie mit absurd überkreuzten Verwandtschaftsverhältnissen dem Abgrund entgegentaumelt. Weil jede Generation zwar Kinder hervorbringt, die aber bald so traumatisiert sind, dass alles nur in Hass und Tod mündet. Auch Siegfried und Brünnhilde haben von Schwarz hinzuerfundenen Nachwuchs. Und Hagen, das andere böse Kind aus dem „Rheingold“, ist inzwischen groß geworden. Ein Haudegen, noch immer im gelben Shirt, cool, abgeklärt. Mit den Gibichungen Gunther und Gutrune, hier aufgekratzte Wiedergänger der TV-Geissens, lebt er unter einem Dach. Dieses und noch viel mehr ließe sich aus der Premiere der „Götterdämmerung“ erzählen. Etwa wie tatsächlich Gunther bei Brünnhilde auftaucht, die Lippen synchron zu Siegfrieds Stimme aus dem Off bewegt, der Frau eine falsche Identität vorgaukelt, um ihr den Ring abzuluchsen. Doch was oder wer ist nun bei Valentin Schwarz dieses ultimative Machtsymbol? Was ist letztlich verantwortlich für den Untergang, den Wagner mit aufgischtenden Klängen plus finalem Erlösungsmotiv herbeikomponiert? Verloren im Ideengeflecht Es interessiert keinen mehr. Die einzige Frage, die das Gros der 1800 Festspielgäste umtreibt, bleibt: All die neuen Figuren und Nebenstränge – geht das auf? Wird sich alles zum großen Aha-Effekt runden, gern mit Erkenntnisgewinn? Doch Schwarz findet mitsamt seinem Team Andrea Cuzzi (Bühne) und Andy Besuch (Kostüme) nicht mehr heraus aus seinem Geflecht aus Ideen und Extras. Längst kreist er hilflos um sich und seine Schicki-Sippe, die nur zwei Signale aussendet: Reichtum macht schlecht. Und Kinder können uns retten. Das stimmt, deshalb hat Wagner auch den „Ring“ geschrieben. Das Problem von Schwarz ist aber: Wagner hat dies zum Ausgangspunkt genommen, Schwarz ist mit der Gedankenarbeit da schon fertig. Es ist also trotz des riesigen Ausstattungsaufwands ein schockierend dünner „Ring“ geworden, daran ändert die „Götterdämmerung“ nichts. Es ist auch eine handwerklich dürftige Arbeit, die in ihren schlimmsten Momenten aussieht wie ein Grusical der Grundschul-Abschlussklasse. Eigentlich wollte Schwarz klassische Insignien wie Schwert und Ring vermeiden, dann greift er doch verschämt wieder darauf zurück. Und obgleich er für fast jede Figur eine neue Volte findet und im TV-Serien-Arsenal räubert: Alles bleibt nur Bebilderung, die nie auf Aspekte jenseits dieses Horizonts verweist. Nicht vergessen werden darf, dass Schwarz die dritte Wahl von Festspielleiterin Katharina Wagner ist. Zunächst hätten vier Frauen den neuen „Ring“ stemmen sollen, dann bekam Tatjana Gürbaca allein den Zuschlag. Nach ihrer Absage musste ein Nothelfer her, vom 33-jährigen Österreicher erwarteten sich alle einen frischen Zugriff. Doch dafür hätte es auch eine funktionierende Bayreuther Dramaturgieabteilung gebraucht, die den überforderten Schwarz vor Ungereimtem schützt. Der Dirigent gewöhnt sich ein Die musikalische Fraktion ist da schon weiter. Cornelius Meister, während der Proben eingesprungen, ist mit dem Festspielorchester vom „Rheingold“ bis zur „Götterdämmerung“ Riesenschritte vorangekommen. Plastisch bis drastisch dringt es aus dem Graben, manchmal sogar vieldimensional. Gerundet hat es sich noch nicht zu innerer Logik, dazu ist Meister zu sehr mit Episodischem beschäftigt. Beim zweiten, dritten Durchlauf dürfte sich vieles geben, der Premierenzyklus ist ein vorläufiges Endergebnis. Eine letzte spektakuläre Umbesetzung: Weil Stephen Gould erkrankte und auch sein Cover Andreas Schager malad war, wurde Clay Hilley aus dem Apulien-Urlaub am Tag vor der Premiere eingeflogen. Als Siegfried, vokal hell, durchdringend und erstaunlich mühelos, findet er sich gut zurecht. Gern hört man hin, bei Iréne Theorin weniger. Ihre Brünnhilde ist laut, ungenau und textarm. Konditionell kommt sie über die fünf Stunden, nicht nur für Bayreuth ist das zu wenig. Albert Dohmen als Hagen schlägt sich noch am besten, Michael Kupfer-Radecky (Gunther), Elisabeth Teige (Gutrune), Christa Mayer (Waltraute) und Olafur Sigurdarson (Alberich) liefern viele Spielangebote, die von der Regie kaum aufgenommen werden. Am Ende kehrt dieser „Ring“ zurück zum Anfang, der „Rheingold“-Pool ist nun leer und schmutzig. Der Ideen-Input der Regie ist versiegt, alles liegt am Boden, Hagen eilt ein letztes Mal händeringend herbei. 15 Stunden laufen wie schulterzuckend aus in einem nichtssagenden Tableau. Vier Jahre hätte Schwarz nun Zeit, um in der „Werkstatt Bayreuth“ zu schrauben. Als ob man einen Totalschaden reparieren könnte. Markus Thiel Ein Videomittschnitt der Premiere kann in der ARD-Mediathek abgerufen werden. Die „Götterdämmerung“ Hagen trachtet nach dem Macht verheißenden Ring, den Siegfrieds Braut Brünnhilde besitzt. Verwirrt durch einen Gifttrank, jagt Siegfried Brünnhilde, verkleidet als Gunther, den Ring ab. Nach der erzwungenen Doppelhochzeit Brünnhilde/Gunther sowie Siegfried/Gutrune verrät Brünnhilde Hagen die einzig verwundbare Stelle Siegfrieds. Hagen ermordet ihn. Brünnhilde erfährt alles über die Intrige, gibt den Ring den Rheintöchtern zurück und lässt die alte Welt in Flammen aufgehen. Markus Thiel
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